Im November letzten Jahres lag der Flughafen im tiefsten Winterflugplan. Der Strom der Passagiere war bereits Ende Oktober versiegt. Nun tauchten nur noch sporadisch Passagiere auf.
Stefan und ich machten es uns auf Sitzbänken bequem, die eigentlich Passagieren vorbehalten waren. Verträumt starten wir auf unsere Smartphones.
„Wo ist Denise?“, fragte ich. Ich hatte sie schon eine ganze Weile aus dem Radar verloren.
„Irgendwo da hinten.“ Stefan deutete träge Richtung Flugsteig.
„Und Demir?“
„Keine Ahnung. Aber bestimmt auch irgendwo dort.“ Stefan brauchte für diese Vermutung nicht einmal seinen Blick von irgendeinem Age of Aufbauspiel zu lösen. Wenn Denise im hinteren Bereich war, musste Demir da auch sein.
Ich löste meinen Blick von der Finanzen App und sah hinüber. Tatsächlich. Demir lehnte mit übereinander geschlagenen Beinen lässig an einem Geländer. In seiner üblichen selbstbewussten Art erzählte er ihr irgendetwas, was ich nicht hören konnte. Denise tigerte halb gelangweilt, halb gereizt in seiner Nähe auf und ab.
Wir ließen uns wieder von unseren Smartphones hypnotisieren und eine Weile lang passierte nichts.
„HAST DU MIR ETWA AUF DEN HINTERN GESCHAUT?!?“ gelte es plötzlich aus Denise, die schon an normalen Tagen etwas divenhaftes an sich hat. Und an dem Tag hatte sie einen ausgesprochenen schlechten Tag. Diesmal konnten wir sie hören. Mühelos.
Demir versteifte. Dann sagt er etwas, was ein schnippischer Einzeiler gewesen sein musste. Denn Denise sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an, während sie puterrot wurde. Sie drehte sich abrupt um und stampfte auf uns zu. „Wo ist das Diensthandy?!“ zischte sie.
Stefan beeilte sich, es ihr zu geben.
5 Minuten später eilte ein Vorgesetzter herbei. „Was ist denn so dringend?! Ich war gerade beim Mittagessen.“
Denise zeigte mit einem dramatisch lackiertem Zeigefingernagel auf Demir. „Der glotzt mir erst blöd auf den Hintern! Und dann behauptet er auch noch, er hätte es nicht getan, weil mein Hintern so fett sei, dass er ihn überhaupt nicht interessieren würde! Ich lasse mich von dem aber nicht sexuell belästigen und auch noch beleidigen!“
Mit einer ziemlich guten Disziplin schaffte es der Vorgesetzte, nicht auf ihren Hintern zu schauen, der tatsächlich irgendwo zwischen Brazilian butt und Brauereigaularsch lag. „Demir, kommst Du mal?“, rief er.
Demir drehte sich, das Smartphone in der Hand, zu uns um. Seine Gesichtszüge entgleisten. Offensichtlich war er davon ausgegangen, im Streit mit Denise das letzte Wort gehabt zu haben. Nun musste er umdisponieren. Er kam mit langsamen Schritten und hektischen Gedanken zu uns rüber.
„Denise behauptet, du hättest sie sexuell belästigt und beleidigt. Stimmt das? Hast du gesagt, sie hätte einen fetten Hintern?“
Demir warf Stefan und mir einen schnellen Blick zu. Was hatten wir von ihrem Streit mitbekommen? Und noch wichtiger, was hatten wir gesagt? „Nein, nein… …Da muss sie mich missverstanden haben… …Ich sagte nur, der Passagier da hinten war sehr nett .“
„Du lügst!“ explodierte Denise.
Der Vorgesetzte, Stefan und ich sahen uns kurz an. Das kaufte ihm keiner ab.
„Ich möchte mich offiziell über Denise beschweren. Sie bezichtigt mich der Lüge. Dabei habe ich nur die Wahrheit gesagt.“ erhöhte Demir seinen Einsatz. Er machte bei zurückgezogenem Oberkörper abwehrende Handbewegungen. Den Oscar würde er mit der Nummer nicht bekommen.
„Du bist dir sicher, dass du bei der Version bleiben willst?!“ hakte der Vorgesetzte nach.
Sinnlos, jetzt noch einen Rückzieher zu machen. Demir nickte. „Ja.“
Darauf wanderte der Vorfall zwei bis drei Verwaltungsebenen nach oben.
Es gab natürlich nie ein verkündetes Urteil. Doch in den nächsten Monaten stolzierte Demir mit noch größerem Selbstbewusstsein als zuvor durch den Flughafen. Denise wurde währenddessen immer dünnhäutiger. Beschwerden über sie häuften sich nun. Aus all dem schlossen die meisten, dass die Personaler im Zweifel für den Angeklagten entschieden hatten.
2 Monate später kündigte Denise.
Ich lehnte noch einmal einen Monat später mit Demir an eben jenem Geländer, an dem die Geschichte begonnen hatte. An uns zog eine Schar Passagiere vorbei. Darunter auch eine üppige Blondine im weißen Kleid. Willenlos, als wäre er ein Zombie, folgte Demirs Blick ihrem Gang.
Ich sah ihn an. Er bemerkte es, grinste wie ein übergelaufene Mülleimer und zuckte die Schultern. „Ich steh total auf fette Ärsche!“ erklärte er dann.
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