Veröffentlichung: 15. Juni 2025
Zum Ende meiner Ausbildung saß ich mit Frank, einem Gesellen, auf einer Parkbank vor dem Verwaltungsgebäude der Hoechst AG. Es war ein schöner, sonniger 15. Juni 1992. Wir hatten unsere Desserts von der Kantine mitgenommen und löffelten nun entspannt Schokopudding im Halbschatten einiger Laubbäume.
Plötzlich meinte der Geselle. „Was macht Martin hier?“ Er deutete mit seinem Löffel auf die Treppe des Verwaltungsgebäudes. Dort kam ein Mann Anfang 50 in rotem Polohemd und Blue Jeans völlig tiefenentspannt die Treppe herunter.
„Wer ist das?“
„Das ist Martin. Er hat fast 10 Jahre bei uns im Betrieb gearbeitet“
„Echt? Hab den nie gesehen“
„Konntest du auch nicht. Der war das ganze letzte Jahr krankgeschrieben“ Frank hob die Stimme und winkte Martin zu. „Hey, Martin, was machst du hier?!“
Der Mann kam ohne jede Eile auf uns zu. Er gab Martin und mir die Hand, dann steckte er sich erstmal in aller Seelenruhe eine Kippe an. Mit der freien Hand deutete er nach hinten zum Verwaltungsgebäude. „Die haben mir einen goldenen Handschlag angeboten. Habe ich natürlich angenommen. Und jetzt gehe ich in den Vorruhestand.“
Ich musterte ihn etwas genauer. Volles schwarzes Haar. Na gut, beim Seitenscheitel war doch reichlich grau zu sehen. Leichter Ansatz zum Schmerbauch. „Wie alt bist du?“
„49“
Das musste ich erstmal sacken lassen. Aus heutiger Sicht klingt es natürlich absurd. Aber vor 30 Jahren arbeiteten große Unternehmen, das Arbeitsamt und die gesetzliche Rentenversicherung Hand in Hand mit Frühverrentungen unliebsame, ältere Überkapazitäten geräuschlos aus dem Weg zu räumen
Frank zuckte, Männer haben’s schwer, nehmen’s leicht, die Schultern. „Das können wir für uns vergessen“ Er sollte Recht behalten. Ich bin inzwischen 55 und noch Jahre vom Ruhestand entfernt.😔
Okay, ich bin mir nicht sicher, wie lange ich den Blog noch betreiben werde, aber wie ihr euch wahrscheinlich denken könnt, liegt diese Episode bereits seit langem schwer verdaulich in meinen Erinnerungen, und das musste ich mir mal einfach von der Seele schreiben.
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