Es kommt nicht oft vor, dass ich ins Kino gehe und eine wirklich neue großartige Idee sehe.
Aber 1993 war es wieder soweit. Ich tat mir Und täglich grüßt das Murmeltier an. So einen Handlungsverlauf hatte ich noch nicht gesehen. Ein frustrierter Wettermoderator gerät in eine Zeitschleife…
…und muss einen frustrierenden Tag immer wieder durchleben. Und so unbefriedigend das für den Wettermann war, so ergreifend war es für mich. Den halben Film lang hatte ich eine Gänsehaut.
Es ging anscheinend vielen Leuten so. Nach dem Murmeltiertag entstand eine lange Liste ähnlicher Filme, die allesamt die Zeitschleife banden.
Heute aber befassen wir uns aber ausnahmsweise nur mit einem einzigen Film, der Loop-Perle
Primer ist der Lieblings-Zeitschleifen-Film von Mario Draghi. Dem Chef der Europäischen Zentralbank gefällt besonders der eskalierende Charakter dieses Loops.
Zu Beginn des Films erfinden 2 Ingenieure eine schuhschachtelgroße Büchse der Pandora. Sie wissen selbst nicht so genau, was es mit dem Teil auf sich hat. Und da es noch niemand zuvor benutzt hat, können sie auch niemanden nach Risiken und Nebenwirkungen fragen. Egal. Es wird schon gutgehen.
Sie stellen nach einer Weile fest, diese Büchse der Pandora kann zwar Zeitschleifen generieren, aber eine größere Maschine würde ihnen größere Möglichkeiten bieten. Sie erschaffen also einen Zeitschleifengenerator, der Platz für einen Menschen bietet.
Jetzt können sie nach Belieben mit Zeitschleifen jonglieren. Protagonisten in anderen Zeitschleifen-Filmen nutzten das für allen möglichen abseitigen Scheiß. Hier haben wir es aber mit zwei staubtrockenen Ingenieuren zu tun. Sie beschränken sich darauf mit der Kenntnis von Aktienkursen Geld zu machen.
Damit beginnen Probleme, die sich nur auf eine einzige Weise lösen lassen: Dem Bau eines größeren, mächtigeren Generators, der allerdings wieder Probleme hervorruft, weshalb ein noch größerer, noch mächtigerer Zeitschleifengenerator gebaut wird. Der Film endet damit, dass einer der Ingenieure die Errichtung einer inzwischen lagerhallengroßen Büchse der Pandora überwacht. Hoffen wir mal, dass diese keine Schwierigkeiten mehr verursacht.
Man kann beim besten Willen nicht behaupten, Shane Carruth hätten in Hollywood alle Türen offen gestanden.
Genaugenommen kannte ihn im Jahr 2000 dort niemand. Was auch kein Wunder war. In dem Jahr arbeitete Shane, der Ende zwanzig war, in South Carolina als Software-Entwickler für Flug-Simulationen. Er hatte Mathematik studiert und bis dahin bestand seine einzige Verbindung zur Filmmetropole darin Science-Fiction-Filme zu lieben.
Dann kam ihm die Idee zu Primer. Es verging ein gutes Jahr, in dem er an einem Drehbuch bastelte. Er rief nicht in Hollywood an, und sie riefen auch nicht zurück. Stattdessen fragte er Familie und Freunde, ob sie nicht Lust hätten, bei einem kleinen Film-Projekt mit zu machen. Die meisten hatten keine Lust. Weil sie ihn mochten, stockten sie jedoch das Budget des Projekts auf, bis es ganze 7000$ umfasste.
Damit hatte Shane ein Drehbuch, ein paar Amateur-Schauspieler und das Budget. Ihm fehlte aber noch ein Hauptdarsteller. Er hatte bei einigen Provinz-Theater Schauspieler gefragt, ob sie bei seinem Kino-Film die Hauptrolle spielen wollten? Ja! Sie hatten Interesse! Mit Feuereifer versetzten sie sich in die Rolle eines unterkühlten Ingenieurs.
Genau das störte den Ingenieur Shane Carruth. Sie brachten ihm zu viel Dramatik in einfach jede Dialog-Zeile. Das konnte er ihnen auch nicht ausreden. Ihm schwebte jedoch eine unauffällige undramatische Hauptfigur vor. Nach ein paar kläglich gescheiterten Privat-Castings zog er schließlich die Notbremse. Na, gut. Dann spielte er die Rolle eben selbst.
Was die Regie anging, liebäugelte Shane mit dem Stil von Steven Soderberg. Er mochte es, wie Soderbergh kühle Farbfilter über das Rohmaterial legte, bis sie eine kalte Eleganz ausströmten. Tausend oder zweitausend Dollar hätte er für die Regie von Soderbergh hinblättern können, ohne das es das Budget sprengte. Soderbergh hätte sich für diese Mini-Beträge allerdings nicht mal das Drehbuch angeschaut. Carruth entschied sich also für eine kostengünstigere Variante. Dann führte er eben selbst Regie.
Gut einen Monat später hatte er das Teil endlich im Kasten. Das wurde auch allerhöchste Zeit! Ungefähr ein Jahr, nachdem er die magische Idee gehabt hatte, fing das Projekt an ihm zum Hals herauszuhängen. Es hatte einfach zu viel Mühsal gekostet. Das Drehbuch musste immer wieder verbessert und verändert werden, Leute für Primer begeistert werden, und ganz allgemein musste er immer umfangreichere Vorarbeiten leisten. Dieses zweite Jahr bis zum Dreh des Film hatte ihn einiges an Zeit und Nerven gekostet. Es war jetzt aber zum Glück vorbei und der Film in Kasten!
Zumindest die Rohversion war im Kasten.
Irgendwer musste aber noch die Postproduktion stemmen. Wer sollte sich die Mühe machen die ganzen Szenen zusammenzuschneiden? Irgendjemand musste sich auch noch in das Programm zur Nachbearbeitung reindenken, und die Effekte dann auch tatsächlich einfügen. Und ein Komponist für die Filmmusik fehlte übrigens auch noch. Die Antwort auf all die Fragen hieß natürlich immer Shane Carruth. Der biss tapfer die Zähne zusammen. Obwohl er bereits seit 12 Monaten auf dem Zahnfleisch geschlichen war, erledigte er die komplette Nachbearbeitung als Ein-Mann-Unternehmen selbst. 2 weitere Jahre nahm das alles in Anspruch. Dann kam der Film tatsächlich in die Kinos.
Primer wurde tatsächlich ein kleiner Publikums-Erfolg. Es heimste auf den Sundance-Festival von Robert Redford einen Preis ein und gilt bei einigen wenigen Nerds als Kultfilm.
Mit Shane ging es nach dieser auslaugenden 4 Jahre dauernden Tour de Force erst mal gar nicht weiter. Es sollte fast ein Jahrzehnt vergehen, ehe er seinen nächsten Film drehte.
Mario Draghi würde es übrigens gerne sehen, wenn es eine Neuverfilmung von Primer gäbe. Dann aber bitte mit charismatischeren Hauptdarsteller und cooleren timetravel-effects. Wie wäre es zum Beispiel mit George Clooney und Brad Pitt als Physik-Professoren, die das Gerät zur Zeitschleife erfinden? Und nichts gegen Aktiengewinne, aber wäre es nicht filmtechnisch eine viel bessere Idee, wenn die beiden Professoren auf ihre alten Tage versuchen in unzähligen Loops eine Bank auszurauben, bis es endlich gelingt? Sagen wir mal in Frankfurt, nur um einen europäischen Bezug herzustellen? Als Regisseur für die Neuverfilmung kann er sich Steven Soderbergh gut vorstellen.
Es soll an der Finanzierung nicht scheitern. Draghi ist gerne bereit über die EZB einen Kreativ-Fonds einzurichten.
Kennt ihr noch weitere Filme mit Zeitschleife? Ja?! Schreibt sie mir!
Und hier sind die übrigen Zeitschleifen katalogisiert:
Zeitschleifen-Filme -Die Übersicht
Hier kommt bald:
(erscheint im Spätherbst 2018)
Natürlich mit dem Murmeltier! Sowie einem Autor, der in der Realität von von der eigenen Zeitschleife umfangen wurde. Und natürlich der Mutter aller Zeitschleifen!
Wir haben die längste Zeitschleife, die kürzeste Zeitschleife und die einzige Zeitschleife in Serie!
Mit jeder Menge hübscher Frauen in Todesgefahr! Plus der einzigen Zeitschleife, die am unteren Ende einer Zeitreise Jo-Jo spielt. Und dem Bonus-Loop: Denn heute ist Wurzelspitzenresektionstag!
gruselige Zeitschleifen Teil 2
Mit einem wirklich üblem Geisterschiff. Einem Schmetterling, dessen Flattern Ashton Kutcher eine Gänsehaut beschert. Und wir verleihen den Spooky Loop Award!
Mit dem schönsten Tag im Leben in Endlosschleife, einer Menge vorzeitiger Samenergüsse und 1 Skateboard. Starring Drew Barrymore
Romantische Zeitschleifen Teil 2
Mit einem unglaublich langweiligen Love-Loop aus deutscher Produktion, einem umherirrenden Luxusliner und dem schönsten Tag im Leben gleich in doppelter Endlosschleife!
Mit unglaublich wenig Geld und unglaublich viel Zeit von Shane Carruth rausgehauen. Zeitschleifen wie sie sein sollten!
Mit Tom Cruise, einer Menge durchgeknallter Teenager und dem Gewinner des Action Loop Awards!
Mit voll dem Psychopathen und noch mehr durchgeknallten Teeanger. Starring Keanu Reeves
Diesmal haben wir die besten Serien-Zeitschleifen für euch zusammengestellt. Buffy, Fox Mulder und die Jungs von Stargate lassen es hier krachen. Muss leider draußen bleiben… der Terminator: Not starring Arnold Schwarzenegger
Mit dabei: Ein explodierendes Raumschiff, die Postapokalypse und eine harte Nuss zum Knacken. Starring Captain Picard
Weihnachten und Zeitschleifen
(erscheint am 24. Dezember)
P.S. Es kommt nicht oft vor, dass ich Beiträge aktualisiere. Die meisten Artikel erscheinen einmal hier auf dem 5-minuten-Blog. Und das war es. Einige sind 1 bis 2 mal erneuert worden. Das trifft vor allen Dingen auf einige Ausgaben der SPIEGEL-Cover-Reihe zu.
An der Serie rund um den Murmeltier-Tag feile ich allerdings zum dritten mal. Und vermutlich nicht zum letzten mal.