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Prozess Ping-Pong: Der unaufgeklärte Organspender

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Ein guter Start in den Beitrag ist wohl das bekannteste Zitat von Immanuel Kant:

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit.

2010 gab sich der damals 45-jährige Ralf Zietz einen Ruck.

Er hatte zuvor das Leid seiner Frau über Jahre hinweg angesehen. Und mitgelitten. Dann hielt er es nicht mehr aus. Seine Frau sollte nicht mehr regelmäßig zur Dialyse. Zietz wollte ihr ein besseres Leben ermöglichen. Und wenn das bedeutete, dass er eine seiner beiden Nieren spenden musste, nun, dann war das halt so. Sie hatten geheiratet. Also würde er zu ihr stehen. In guten wie in schlechten Zeiten.

Das war eine riskante Entscheidung, die unseren vollen Respekt verdient.

Bevor es jedoch in die Operation ging, musste zuvor das Aufklärungsgespräch hinter sich gebracht werden. Man führte Zietz in einen Raum mit einem Tisch und drei Stühlen.

In einer Krankenhausserie

In einer Krankenhausserie hätten sich die Chirurgen alle Zeit der Welt genommen. Hätten ihn vollumfassend aufgeklärt, und er wüsste danach über sämtliche Risiken Bescheid.

In der Realität

In der Realität sah die Sache natürlich anders aus. Zietz wurde von einem und nur einem Chirurgen aufgeklärt, der zudem einen übervollen Terminkalender hatte und entsprechend wenig Zeit freimachen konnte. An umfassend, geschweige denn vollumfassend, war nicht zu denken. Hatte der Chirurg alle Risiken dargestellt? Wahrscheinlich nicht.

Es wog jedoch schlimmer, dass der dritte Stuhl leer blieb. Kein neutraler Arzt saß mit am Tisch. Kein Experte konnte Zietz eine andere Sicht der Dinge erklären.

Und so kam es, wie es kommen musste: Ralf Zietz hat sich nach eigenen Angaben von der Operation nie vollständig erholt. Er sei chronisch erschöpft und leide an eingeschränkter Nierenfunktion.

Bildquelle Pixabay Fotograf Marionbrun

Der Fall ging vor Gericht. Genauer vor das Oberlandesgericht Hamm. Zeitz forderte Schadenersatz und Schmerzensgeld. Die Richter des OLG sahen die Sachlage jedoch anders.

Auf ein Glas Bier

Und bei einem Glas Bier in der Kneipe hätten sie mit dem Kläger vielleicht auch Tacheles reden können: „Na, klar, hast du eine eingeschränkte Nierenfunktion, wenn die Hälfte deiner Nieren fehlt. Was hast du denn gedacht? Und außerdem: Was hätte dir ein neutraler Arzt gebracht? Dir blieb doch sowieso nichts anderes übrig, als die Nummer durch zuziehen. Außer wolltest du etwa nie mehr in einen Spiegel oder die Augen deiner Frau schauen?

Die hypothetische Einwilligung

Sie saßen aber nicht auf ein Glas Bier beieinander. Und so mussten sie sich etwas zurückhaltender ausdrücken: Hypothetische Einwilligung lautete der 2-Wort-Ersatz für den Klartext.

Das fand Zietz etwas dünn für einen Richterspruch und ließ es darauf ankommen. Er ging vor den Bundesgerichtshof

Und? Wie urteilte der BGH? Darf ihm das Schmerzensgeld verweigert werden?

Na, ja, der Beitrag läuft nicht umsonst unter dem Schlagwort

Bleib locker: Das Gegenteil ist auch richtig.

Bildquelle Pixabay Fotograf Geralt
Meinungen gibt es wie Sand am Meer.

Und die richtige erkennt man daran, dass sie von demjenigen mit dem längsten Hebel kommt. Schauen wir uns also an, was der BGH meint:

Die schlossen sich der Meinung von Ralf Zietz an. Wozu gibt es denn Vorschriften, wenn sie nicht richtig eingehalten werden?! Natürlich hat der arme Mann ein Recht auf Schmerzensgeld!

Womit die Richter das Urteil der Vorinstanz schlicht für ungültig erklärten.

Unter dem Schlagwort Bleib locker  poste ich die schönsten Wendepunkte und Widersprüche, die mir so über den Weg laufen.

Und hier gibt es weitere lustige Münzwurf-Urteile und Ping-Pong-Entscheidungen, in denen die Instanzen um 180 Grad auseinanderlagen:

Mietrecht:

Darf ein Mieter in der Wohnung rauchen?

Darf ein Vermieter die Mietpreisbremse missachten?

Arbeitsrecht:

Darf einem Arbeitnehmer wegen privater Internet-Nutzung im Dienst gekündigt werden?

Darf die Katholische Kirche einem Mitarbeiter kündigen, wenn er ein zweites mal heiratet? (externer Link)

Darf eine muslimische Erzieherin auf der Arbeit ein Kopftuch tragen?

Darf eine muslimische Grundschullehrerin ein Kopftuch tragen? (externer Link) 

Exotische Fälle:

Dürfen Muslime Warnwesten mit der Aufschrift Sharia Police tragen?

Darf Trump ein Einreiseverbot verhängen?

Darf ein Freibad Einheimische bevorzugen?

Darf eine Airline Entschädigungszahlungen verweigern, weil das Sicherheitspersonal steikt?

Muss ein Krankenhaus Schmerzensgeld zahlen, wenn das Aufklärungsgespräch fehlerhaft war?

Muss ein Arzt Schmerzensgeld zahlen, weil er Leben und leid eines Patienten künstlich verlängerte?(externer Link)

 

markus

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markus